Grundelemente der Gestaltung (3)
Text, Graphiken und Fotos von
Gerd-Lothar Reschke
Inhalt
Mir ist klar, daß etliche mich jetzt mit Genugtuung in die esoterische Schublade stecken werden, selbst wenn ich mich noch so wortreich von geomantischen und Feng-Shui-Klischees abgegrenzt habe. So etwas wie Kraft oder Energie thematisieren zu wollen, ist im naturwissenschaftlichen Paradigma des dogmatischen Rationalismus, wie er unsere Epoche beherrscht, ein Sakrileg. Hier trennen sich wahrhaft noch die Geister. Und in diesem Sinne sitze ich mit meinen Ausführungen wahrscheinlich zwischen allen Stühlen: Denn ich verfolge weder die rationalistische noch die esoterische Sicht. Ich sage ganz einfach: Der Aspekt Kraft kann wahrgenommen werden. Er kann aber nicht bewiesen, gemessen oder logisch abgeleitet werden.
(Siehe auch: Kraft-Zeichen — Eine spirituelle Perspektive für das Bauen.) Denn:
Wenn Sie Ihr Wirklichkeitsbild auf der Ratio fundieren, müssen Sie alles, was Sie erleben, rational erklären können. Dann wird nur akzeptiert, was logisch zu beweisen ist. Fundieren Sie Ihr Wirklichkeitsbild nicht auf der Ratio, sondern z.B. auf der Wahrnehmung, oder auf subjektiven Eindrücken, auf Empfindungen, dann geht es darum, wie das erlebt wird — dann haben Sie hier Ihr Wissen, Ihre Anhaltspunkte, Ihre Schlußfolgerungen.
Inwieweit Kraft und Kraftfluß wahrnehmbar sind, müssen Sie für sich herausfinden. Ich kann nur Fingerzeige und Empfehlungen dazu liefern.
Kräfte können — darauf weisen erfahrene Geomanten oft hin — sehr unterschiedlich empfunden werden. Der eine wird vielleicht ruhiger werden, der andere lebendiger. Einer wird sich entspannen und dadurch vielleicht zuerst den Eindruck erhalten, müde zu sein, einer wird sich gestärkt fühlen. Kraft wahrzunehmen ist eine praktische Sache — je mehr damit erlebt und experimentiert wird, desto genauer weiß der Betreffende, wie Gebäude und Örtlichkeiten auf ihn wirken und was das für ihn zu bedeuten hat.
Machen Sie also eigene Beobachtungen! Vertrauen Sie diesen Beobachtungen! Geraten Sie nicht in die Falle einer Intellektualität, die sich darüberzustülpen versucht und Ihnen Ihre Eingebungen heruntermacht mit dem Argument, sie seien nicht rational zu belegen.
Kurz: Es gibt subjektive Aspekte — die dennoch nicht als Hirngespinste wegzuleugnen sind. Es gibt aber auch ähnliche Reaktionen bei unterschiedlichen Menschen, die auf verblüffende Weise miteinander übereinstimmen. Mit solchen übereinstimmenden Beobachtungen beschäftigen sich die folgenden Hinweise und Beispiele.
Kraft wird im asiatischen Kulturraum Chi, Ki, Qi oder in Indien Prana genannt und ist dort Grundlage der vielfältigsten Anwendungen, sei es in den Kampfkünsten (Budo) wie Aikido, Karate, Judo, Taekwondo oder Jiu-Jitsu oder in der tänzerisch-ruhigen Ableitung der Bewegungsformen des T'ai Chi Chuan oder Qi Gong, sei es in der Heilkunde (Akupunktur, Shiatsu (in Indien: Yoga, Ayurveda) usw.), in der Kunst, in der Gestaltung von Lebensumgebungen bei dem bereits erwähnten Feng Shui oder in zahlreichen anderen Lebensbereichen. Überall dort wird Ki bzw. Chi als Lebenskraft verstanden, die das ganze Universum durchwirkt, sich beim Menschen in der Körpermitte sammelt und vom Atem angeregt wird.
Im Westen gibt es bislang kaum Pendants zu dieser Auffassungsweise, zumindest nicht im öffentlichen Bewußtsein, da seit der sogenannten Aufklärung das Schwergewicht der Erkenntnis vorwiegend in rationalen Vorgängen des Gehirns gesehen wird. Aus mehreren Gründen verwende ich das Wort Kraft (wahlweise auch Energie) für dasselbe Phänomen, das die Asiaten beschreiben.
Wichtig ist zu verstehen, daß Kraft fließt, daß sie dazu neigt, sich zu bewegen, daß sie sich aber auch an Ruhepunkten sammeln kann. Sie werden das besser nachvollziehen können, wenn Sie mir bei dem Vorschlag folgen, Kraft nicht nur mit physischen oder psychischen Kräften, sondern mit Aufmerksamkeit in Verbindung zu setzen. Die Kraft, von der hier die Rede ist (es ist keine pure mechanische, physikalische Kraft), folgt der Aufmerksamkeit bzw. wirkt auf sie ein.
Sich bewegende Kraft kann in großen Außenanlagen registriert werden, also bei Straßen, Plätzen, Parks und Gewässern. Wir haben es dann mit sogenannnten Kraftlinien (oder Leylines) zu tun. Diese Linien können natürlich vorgegeben sein, z.B. durch eine bestimmte Landschaftsformation, oder sie können vom Menschen geschaffen worden sein, etwa bei früheren Stadtanlagen und sakralen oder profanen Bauten.
Auch innerhalb von Gebäuden läßt sich das Fließen der Kraft wahrnehmen, so als an der Eingangstüre hereinkommende Energie, die durch einen Flur pulsiert, in Räume eintritt und an Fenstern bzw. an Abflüssen (z.B. in der Küche, im Bad) wieder hinausfließt.
Stellen, an denen der Kraftfluß sich konzentriert, werden Kraftplatz (oder Ort der Kraft) genannt. Es gibt aufladende und abladende Stellen, je nachdem, ob sich Spannung aufbaut oder entlädt. In Kirchen, wenn sie mit dem entsprechenden Wissen gebaut worden sind, ist z.B. in der Regel der Altar bzw. ein Bereich in der Nähe des Altars ein aufladender Platz und der Beichtstuhl ein abladender Platz.
Gerade Linie Handelt es sich um eine monoton gerade Linie, dann beschleunigt sich die Kraft und schießt aus dem Weg bzw. der Straße heraus. Bei Verkehrswegen wie z.B. Autobahnen gibt es dann die Tendenz, immer schneller zu fahren, um gegen ein Gefühl der Ermüdung und des Überdrusses anzugehen. Entsprechende Linien innerhalb von Städten, z.B. bei Einkaufsstraßen, veröden; die an der Strecke gelegenen Geschäfte erleiden Publikumsmangel. Besonders ungünstig ist es, wenn die Linie nicht mindestens an einer Seite, also an einem End- oder Zielpunkt einen Abschluß aufweist (z.B. ein wichtiges Gebäude, ein Monument, ein Springbrunnen etc.) |
Rhythmisch variierte Linie Auf der Hauptachse befinden sich drei Plätze, darunter zwei runde, einmal mit Obelisk und einmal mit Springbrunnen. Obelisk und Springbrunnen speisen Energie in die Kraftlinie ein. Die Kraft pulsiert; es bildet sich eine Resonanz. (Wenn die Abstände der Teilstücke passend gewählt sind.). |
Unterschiedlicher Kraftfluß im Raum Im linken Bild verläßt die Kraft den Raum sofort wieder, weil sie, wenn sie an der Tür hereinkommt, in gerader Linie am Fenster wieder hinausfließt. Die Raumanlage im rechten Bild ist günstiger, weil die Kraft zu einem Bogen gekrümmt wird und erst im Raum zirkuliert, bevor sie das Fenster verläßt. |
Beispiele für Umgestaltungen Linkes Bild: Die Pflanze vor dem Fenster hält die Kraft im Raum und läßt sie über der Sitzgruppe bzw. dem Bett zirkulieren. Rechtes Bild: Der Schreibtisch und die kleine Pflanze lenken die Kraft nach rechts zum Bett bzw. zum Sofa und halten sie im Raum, bevor sie zum Fenster strebt. |
Kücheneinrichtung Im linken Bild fließt die Kraft gerade von der Tür durchs Fenster hinaus und benachteiligt außerdem die Sitzgruppe, die in diesem energieschwächenden Bereich plaziert ist. Darüberhinaus ist bei keinem Sitzplatz das Prinzip Rückendeckung beachtet worden. Der runde Tisch im rechten Bild ist kommunikativer, verbindender (vgl. Symbol des "Runden Tisches"). Die Pflanzen vor dem Fenster lassen die Kraft zirkulieren; der Herd wurde vom Abfluß entfernt. |
Der beste praktische Beginn ist, sich mit Anschauungsbeispielen in der direkten Umgebung auseinanderzusetzen und zu beobachten, wo hier Kräfte wirksam sind und wie das von einem selbst empfunden wird. Die Sparte
Anschauungsbeispiele enthält hierzu bereits eine Anzahl von Vorschlägen und Anregungen.
Zum Thema Kraftfluß empfehle ich vor allem den Beitrag
Kraftlinien in München. Der oben angesprochene Aspekt der unterschiedlichen Straßenführung wurde in dem Beitrag Autobahn, Natur & Wahrnehmung anhand eines Autobahnteilstücks in der Holledau bei Wolnzach behandelt.
Sobald Sie den Blick dafür entwickelt haben, worum es geht, werden Ihnen überall unzählige weitere Beispiele unterkommen.
Der zu Ehren des Prinzregenten Luitpold um ca. 1911 erbaute Luitpoldpark in München ist zugegebenermaßen ein recht einfaches Beispiel, wie man es vermutlich in fast jeder größeren Stadt finden könnte, aber es läßt sich gut zur Veranschaulichung verwenden, weil es die Grundelemente enthält, auf die es mir hier ankommt.
Die Eingangstreppe
Nehmen wir als erstes die Eingangstreppe. (Es handelt sich um den Zugang von der Karl-Theodor-Straße, die den Park durchschneidet.) Diese Treppe ist — mit der ausgewogenen Zahl von 8 Stufen und in einer besonders repräsentativen Breite — prachtvoll angelegt. Warum wird hierdurch Kraft erzeugt? Weil der Zugang zum Park besonders akzentuiert wird. Die Aufmerksamkeit wird gesammelt. Man geht nicht einfach nur gerade durch und ins Gelände hinein, sondern das Betreten wird zu einem Akt, auf gewisse Weise auch zu einem Ritual.
Allgemein läßt sich sagen, daß derartige aufsteigenden Treppen den Kraftfluß verstärken, weil sie Spannung erzeugen. Zugleich findet eine Abgrenzung vom gewöhnlichen Bereich statt, auch von dessen gewöhnlichen Energien — hier die diffuse, chaotische und nicht immer wohltuende Ausstrahlung der Hauptstraße und ihr Verkehr.
Überflüssig, zu betonen, daß durch die Kübel-Podeste (im Stil der Jahrhundertwende des 19.Jhdts.) noch eine zusätzliche Betonung stattfindet, die den Eindruck eines Portals hervorruft und die Kraft zusätzlich fokussiert.
Der Obelisk
Obeliske stellen, genau wie Kirchtürme, die Verbindung zwischen dem oberen und dem unteren Lebensbereich her, also zwischen dem Himmel (männliche Energie) und der Erde (weibliche Energie) — man beachte auch, ganz abgesehen von chinesischen Yin-Yang-Lehren, das Geschlecht im Deutschen: "Der" Himmel, "die" Erde. Wie bei Blitzableitern wird Energie von oben nach unten geleitet. Das bedeutet hier: Die Achse, auf der der Obelisk steht (und Obeliske stehen praktisch immer auf Achsen, daher gibt es in vielen modernen, dezentralen Anlagen auch keine Obeliske mehr), wird mit Kraft aufgeladen.
Klassische bzw. originale (ägyptische) Obeliske waren seinerzeit Monolithen aus hochwertigem Stein, daher wurden sie auch von damaligen Eroberern gerne in die jeweiligen Länder entführt und dort aufgestellt (vgl. Paris, Place de la Concorde, oder Vatikan,
Petersplatz). Bei dem hier gezeigten Obelisk handelt es sich, wie auch bei jenem auf dem
Karolinenplatz, um ein gemauertes und entsprechend nicht ganz so kraftvolles Exemplar.
Gestaltung eines Aufgangs
Dieser versetzte, mit flachen Treppen versehene Aufgang ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Kraftfluß durch kleine, aber wirksame Umlenkungen des Weges verstärkt werden kann (vgl. auch das Beispiel oben). Das Mauerwerk und die Anpflanzungen akzentuieren diese Wirkung zusätzlich.
Das Bild zeigt die linke Hälfte des Aufgangs, der zwischen den beiden Büschen nach links oben führt; rechts befindet sich ein symmetrisches Gegenstück. Die Hauptachse liegt in einer Linie mit dem Obelisken (links) und einer breiten Parkallee (rechts). Durch die Treppenanlage wird die Kraft der Achse aufgeladen.
Das Labyrinth
Labyrinthe sind heute selten, und wenn sie doch einmal, so wie hier, auftauchen, dann setzen sie einen ganz besonderen inhaltlichen Akzent. Symbolisch stehen Labyrinthe für den inneren Weg, den spirituellen Weg der Selbstfindung. Das gilt besonders für Labyrinthe, die nach dem Muster des vollständigen Durchlaufs konzipiert sind — das bedeutet: Es gibt nur genau einen Weg vom Eingang zum Ziel. Dadurch wird sofort das gängige Vorurteil widerlegt, daß derartige Labyrinthe als sogenannte Verwirrspiele angelegt wären, also reinen Unterhaltungscharakter aufweisen würden.
So verhält es sich mit dem hier vorhandenen Labyrinth, das dem Schema folgt, das aus den gotischen Kathedralen in Frankreich (z.B. Chartres) bekannt ist. Der Weg führt auf das Ziel zu, wird dann abgelenkt, führt nierenförmig einmal auf der einen, dann auf der entgegengesetzten Seite außen herum. Auf den Lebensweg übertragen bedeutet das: Der Mensch mag zwar zu einem Ziel (zum Ziel der Selbsterkenntnis, der Einsicht in sein wahres Wesen) streben, aber er muß dennoch erst durch alle Instanzen und Details des praktischen Daseins hindurch, so daß sein Weg manchmal genau dem Ziel entgegengesetzt zu verlaufen scheint — und doch führt er gerade dadurch erst weiter zum Ziel.
Das Gehen auf diesem Pfad des Labyrinths soll also ein Gewahrwerden in bezug auf das eigene Schicksal bewirken; dazu ist es wichtig, den Weg schweigend, gesammelt und in einer offenen Geisteshaltung zu gehen. Man vergesse nicht, daß der Weg nicht mit dem Ziel, hier: dem zentralen Stein, einer Stele, endet — dies ist nur der Teil der Strecke, der Kraft auflädt. Die gewonnene Kraft wird dann beim Zurückgehen der gesamten Weglänge wieder entladen.
Labyrinthe wie dieses hier stellen also eine besonders raffinierte und hintergründige Gestaltung des Kraftflusses dar. Wie das Bild zeigt, steht hier auch ein entsprechend kraftvoller altehrwürdiger Baum, dessen Gesundheit jedoch beschädigt ist. Wie überhaupt die gesamte Anlage geschwächt ist (Abfall, von ungeduldig-ignorantem Publikum durchbrochene Labyrinthwände, Mißbrauch als Kinderspielplatz) — eben dem Gesellschaftszustand genau entsprechend, mit dem wir es heute zu tun haben.
Der Kontakt zu Kraftanlagen, zum Sinn und zu den tieferen Zwecken derartiger Einrichtungen ist bekanntlich heute weitgehend unterbrochen. Viele Menschen wissen nicht, was dahintersteckt und was das mit ihnen selbst zu tun hat. Gerade deshalb ist es wichtig, dazu von neuem Aufklärung und Information zu betreiben.
— Gerd-Lothar Reschke —
18.8.2002
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