Eindrücke von einer Führung im Rahmen der Münchener Architekturwoche A1 sowie eine Gegenüberstellung zu gängigen aktuellen Architekturauffassungen.
Bilder und Text von Gerd-Lothar Reschke
Irgendeiner dieser Übungsräume der Münchener Musikhochschule, nicht besonders groß, unaufgeräumt, mit ein paar Notenständern und einem Klavier, unscheinbar. An der Decke eine verschmutzte Lampe in einem etwas merkwürdigen, heute nicht mehr einzuordnenden Stil. Draußen ein Balkon und eine Vorrichtung zum Aufziehen von Fahnen; der Blick über die Straße wird schnell von dichtem Baumbewuchs gestoppt. Dahinter läßt sich der Königsplatz vermuten.
65 Jahre früher, derselbe Aufenthaltspunkt: Das Arbeitszimmer Adolf Hitlers. Der Blick reicht weit über den Königsplatz, den wohl schönsten Platz Deutschlands, der sich bis zu diesem Gebäude, der NSDAP-Parteizentrale, erstreckt. Bauzeit 1933-1937; Architekt: Paul Ludwig Troost. Es gibt zwei Zwillingsgebäude: das nördlich der Kreuzung Barer-/Meiserstraße in der Arcisstraße 12 gelegene Führerhauptquartier und das südlich gelegene Verwaltungsgebäude, in dem die Mitgliedskartei der sieben Millionen Parteimitglieder aufbewahrt und bearbeitet wird. Die Parteizentrale wurde nie nach Berlin verlegt, sondern hatte bis zum Kriegsende ihren Sitz hier in der bayerischen Landeshauptstadt.
Der Königsplatz wurde mit Granitplatten belegt und mit aufwendigen Laternenmasten versehen. Autoverkehr war untersagt. Die Orientierung, die vorher auf die Propyläen zeigte, wurde in die Gegenrichtung umgekehrt, dorthin, wo zwischen den beiden Neubauten die sogenannten Ehrentempel für die als Märtyrer verehrten Gefallenen des fehlgeschlagenen Putschversuchs von 1923 erbaut wurden.
Zurück zur Gegenwart: Ich nehme an der Führung zur Geschichte des NSDAP-Parteizentrums am Königsplatz anläßlich der Ersten Architekturwoche München teil. Im Führerzimmer endet der Rundgang. Begonnen hat er im südlichen Zwillingsgebäude, wo die Leiterin der Führung ihren Arbeitsplatz hat: Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, das heute neben der Graphischen Sammlung und einigen anderen Kunstinstituten dort ansässig ist.
Ehemaliges Verwaltungsgebäude der NSDAP-Parteizentrale, Meiserstr. 10, heute u.a. Zentralinstitut für Kunstgeschichte |
Historische Innenaufnahme des Eingangsflurs; heute ist der Bereich in viele Einzelräume aufgespalten |
Gezeigt werden uns die großen, hellen Innenhallen, die mehrere Stockwerke hochreichen und oben mit einem Glasdach luftig abgeschlossen sind. Heute stehen hier Gipsabdrücke, die Kunststudenten von griechischen Statuen aus der Glyptothek angefertigt haben.
Weiter bekommen wir die große, original erhaltene (aber heute mit historischen Fachbüchern bestückte) Bibliothek zu sehen; dann geht es in den Keller, wo wir elektrische Anlagen sowie die ehemalige Klimaanlage und den Heizungs- und Durchgangsschacht zum nördlichen Gebäude anschauen können.
Die Führung endet, wie schon erwähnt, im ehemaligen Führerhauptquartier, wo wir die in der zentralen Halle emporführende repräsentative Treppe näher betrachten und schließlich in besagtes Arbeitszimmer eintreten, das auf der gegenüberliegenden Seite gelegen ist.
Nun meine persönlichen Eindrücke hiervon. Vorauszuschicken ist, daß für mich, wie
bereits programmatisch zu diesem Journal Wahrnehmen — Gestalten — Bauen ausgeführt, der Aspekt Wahrnehmung oberste Priorität hat, und keine indirekt hergeleitete, von irgendeiner ideologischen Plattform aus postulierte Denk- und Urteilsweise. Zu dieser Wahrnehmung gehört, wie ich ein Gebäude empfinde — stellvertretend für viele andere, denn die meisten Menschen empfinden sehr ähnlich, vor allem wenn sie ihr Empfinden nicht vom Verstand her vernebeln und mit vorgefertigten Konzepten überlagern.
Und ich hege keinerlei Scheu oder Bedenken oder Vorbehalte, meine subjektiven Erfahrungen hierzu zu schildern, auch wenn sie vermutlich den von einer gewissen Richtung her erwünschten Denkweisen kraß zuwiderlaufen.
Mir gefallen diese beiden Zwillingsbauten sehr gut, weil ich mich darin nicht nur wohlfühle, sondern weil in sie ganz offensichtlich eine Vielzahl von architektonischen Kunstgriffen integriert wurde, die auf die Erzielung einer bestimmten angenehmen, harmonisierenden Wirkung orientiert war. Obwohl reichhaltig mit Marmor gearbeitet wurde, entsteht eine solch warme Atmosphäre, wie man sie von diesem Material sonst nicht gewohnt ist. Das liegt zum einen daran, daß hier Marmor in ausschließlich warmen Tönen eingesetzt wurde, und zwar in Hellbraun und in Dunkelbraun. Aber es liegt auch an der Proportierung der Räume, an der Anlage der Flure und Treppen sowie an der Art des Lichteinfalls.
Wenn ich bereits die Bedeutung des Menschliches Maßes besonders hervorgehoben habe, so läßt sich hier anhand mehrere Aspekte gut die Anwendung dieses Prinzips studieren. Da ist immer die Frage, wie man sich in geschlossenen Räumen fühlt: Eingesperrt, weil sie zu eng sind, frei, weil sie um einen her atmen, oder vielleicht doch ausgeliefert, weil sie wiederum zu weit sind und keinen instinktiven Anhaltspunkt bieten? Hat der Raum Resonanz, oder ruft er Widerwillen und Ablehnung hervor?
Besonders die Hallen, die über mehrere Stockwerke nach oben offen verlaufen und in einem Glasdach enden, lassen einen hervorragend atmen. Die Säulenform der Pfeiler gibt dem Ganzen ein klassisches Ambiente. Besonders zu erwähnen sind auch die Treppen, deren Stufen nach idealen Proportionen konzipiert sind — man merkt das, wenn man solche Treppen entlanggeht: Welche Art von Schritt stellt sich hierbei ein, leicht oder stockend, anmutig oder verkrampft? Bis in die Keller hinunter wird das ideale Maß durchgeführt, auch die Verwendung wertvollen Marmormaterials, und besonders loben muß ich die angenehm verlaufende Führung der Treppengeländer sowie den Einsatz eines handtemperierten Materials (Messing oder Kupfer).
Die Treppenaufgänge sind harmonisch integriert, denn sie befinden sich im Hintergrund der Umgänge (wie auf obigem Bild des Innenhofs rechts hinten gerade noch zu erahnen ist).
Weiterhin fallen die Messinglampen auf, die in einem eigenwilligen, heute nicht mehr bekanntem Stil gearbeitet sind: Gediegen, klassisch geformt, warm, keineswegs aufdringlich.
Die damalige Möblierung, von der heute noch einige Überreste erhalten sind, umfaßte
solide Eichenbänke sowie große runde Tische aus Eiche und mit einer aus Marmorplatten versehenen Oberfläche. Die Bibliothek wurde speziell in Eiche gearbeitet, mit heute etwas eigenartig anmutenden Verzierungen.
Noch etwas zu diesem Begriff gediegen: Es gibt Dinge, die solide wirken, und es gibt Dinge, die unsolide wirken. Ich werde darauf weiter unten in meinen vergleichenden Anmerkungen zur Moderne noch zu sprechen kommen. Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Lampen, denn hier ist der Unterschied zwischen damals und heute gut zu erkennen: Heutige Lampen haben (auch wenn sich das jetzt etwas pauschal anhört) nach meiner Beobachtung immer etwas Klappriges, Dünnes, Schwächliches an sich. Man hat den Eindruck, wenn es eine Erschütterung gäbe, würden sie zerbrechen und herunterfallen — was wahrscheinlich auch stimmt. Das gilt als elegant. Die Lampen, die sich hier antreffen lassen, sind so nicht — sie sind stabil. Sie sind Gefäße, die in sich selbst ruhen, so wie oft Kerzenhalter oder Becken, aus denen Gasflammen kommen, stabil wirken. Das Licht wird gehalten, anstatt frei zu schweben.
Was hat das nun zu bedeuten? Entscheidend ist die unterschiedliche Wirkung. Ist Licht nur ein möglichst frei im Raum schwebender Effekt, oder ist es geerdet, steht es in Verbindung zum Boden? Wo Licht frei schwebt, entsteht der Eindruck von Orientierungslosigkeit. Eine aus einem Becken, einer Feuerstelle, einem Kamin kommende Flamme wirkt komplett anders. Sie strahlt nicht nur Licht ab, sondern Wärme, und sie stahlt nicht nur Wärme ab, sondern Kraft.
Neonröhren oder frei in der Luft schwebende Halogenlämpchen strahlen keine Kraft ab, sondern sie wirken im Gegenteil schwach, kindisch und desorientierend. Ich betone: Man muß das wahrnehmen — Sie sollen das hier jetzt nicht glauben, sondern ich kann Sie nur auffordern, anhand eigener praktischer Beispiele Ihre eigenen Beobachtungen zu machen. Aber dazu braucht man eben auch noch Anschauungsmaterial, und dieses wird leider immer seltener! Das ist der Grund, warum mich Gebäude wie diese hier interessieren: Es gibt hier noch Studiengegenstände! Und ich wiederhole: Noch.
Man denkt heute natürlich — d.h. die Leute werden entsprechend eingestellt und bearbeitet, so zu denken —, daß solch ein Gebäude zum Protz, zur eitlen Selbstdarstellung hätte dienen sollen und von maßloser Arroganz künden müßte. Nichts davon ist der Fall — im Gegenteil. Wer Protz, eitle Selbstdarstellung und maßlose Arroganz sehen möchte, dem kann ich hier in München genug andere, und zwar neue Bauten zeigen, die reichhaltiges Anschauungsmaterial zu bieten haben. Sowohl politische als auch Firmengebäude. Die Grundstimmung dieser Bauten hier und ihrer Einrichtung nenne ich dagegen: klassisch, getragen, ausgewogen, leicht, nicht niederdrückend. Die mit Kelheimer Kalkstein verkleideten Außenfassaden kann man sich, als sie noch in einigermaßen gereinigtem Zustand waren, durchaus als luftig und leicht vorstellen.
Auf das Thema der Tabuisierung dieser Gebäude möchte ich hier nur kurz eingehen, indem ich die wichtigsten Stichworte aufzähle:
Selbst nach 65 Jahre ist man noch nicht weitergekommen, als pure Verdrängung zu betreiben — Verdrängung im Namen der Aufklärung, Verdrängung im Namen der Freiheit, Verdrängung im Namen der Demokratie, Verdrängung im Namen der Moderne. Wobei ich mich frage, was an Verdrängung aufklärerisch, demokratisch usw. sein soll. An diesem schönen Platz läßt man einfach Gras drüberwachsen: An den Hausfronten (siehe obiges Bild, ebenso wie auch beim Haus der Kunst (ehemaliges Haus der Deutschen Kunst): Es lebe die Kraft des Efeus; dieses möge uns der hilflosen Schwäche entheben, uns mit Dingen, die wir direkt vor der Nase haben, als halbwegs erwachsene Menschen verantwortlich auseinanderzusetzen!).
Die ehemaligen "Ehrentempel" wurden nach längerem Hin und Her gesprengt, aber aus Sicherheitsgründen (denn der unterirdische Heizungstunnel verläuft hier entlang) wurden die Sockel stehengelassen; diese blieben in ihrem verwahrlostem Zustand erhalten.
Man läßt beide Zwillingsgebäude (wie auch das Haus der Kunst) nach und nach verschmutzen: Der helle Stein wird fahl und fleckig; Schäden werden nicht ausgebessert.
Erwähnt wurden bereits die von den Amerikanern direkt nach Kriegsende gepflanzten Baureihen zwischen Königsplatz und ehemaliger Parteizentrale, mit dem Zweck, die Verbindung zwischen Parteizentrale und Hauptplatz wieder abzukappen.
Ein unscheinbares Schild informiert knapp über die Vergangenheit dieser Örtlichkeit, aber bloß keine ausführlichen Informationen liefern — ganz nach dem Motto: Man könnte ja auf falsche Gedanken kommen. Auch hier wieder die Frage: Wovor hat man denn solche Angst?
Gegen eine Renovierung der Bauten, eine Entfernung der Büsche, des Gestrüpps und des inzwischen gewachsenen Baumbestands werden auf fadenscheinige Weise Gründe des Biotopschutzes geltend gemacht — wie armselig es ist, mitten in der Stadt, an einem der wichtigsten Plätze, auf diese Weise wucherndes Unkraut zu rechtfertigen!
Die übliche Polemik, die vor jedem eigenen, unabhängigen Nachdenken einsetzt und mit einem geradezu pflichtschuldigen Reflex zu verzerrenden Attributen reagiert: Bombastisch, menschenverachtend usw. sind die wiederkehrenden Vokabeln: Was ist, wenn man genau hinschaut, hier denn wirklich bombastisch und menschenverachtend?
Argumente, mit denen das Arbeitszimmer Hitlers kritisiert wird, konnte ich nicht nachvollziehen. Es handelt sich um einen angenehmen Raum — mit hochwertiger Holztäfelung aus Wurzelholz verkleidet, mit repräsentativer Kaminstelle, auf der Gegenseite mit hochgezogenen verglasten Schränken aus dunklem Holz: Insgesamt wohnlich, wiederum beruhigend, ausgleichend, entspannend. Gibt es in der Staatskanzlei auch solche ausgewogenen Arbeitsräume?
Ich konstatiere weiter: Die Pflege des Mythos von den unterirdischen Tunneln und Gängen, die angeblich bis zur Innenstadt und zum Odeonsplatz reichen sollten (auf den auch ich lange genug hereingefallen bin — da muß eine lüsterne Faszination arbeiten, die ebenfalls auf Projektion beruht). Das einzige, was tatsächlich existiert, ist ein funktionaler Verbindungsgang zwischen beiden Gebäuden. Aber sich selbst die Vorstellung zu suggieren, die damaligen Verantwortlichen hätten unter Wahn- und Zwangsvorstellungen gelitten, muß enorm tröstlich auf heutige Zeitgenossen wirken.
Mein Kommentar hierzu: Ich konstatiere ein heftiges Abwehrdenken. Da muß einiges gewesen sein, was gar nicht falsch, sondern durchaus gut und berechtigt gewesen ist, nämlich als sinnvoll empfunden. Dies anzusprechen, bedeutet noch lange nicht, jeglichen Auswuchs der Nazi-Zeit zu rechtfertigen.
Genau auf diesen Hintergrund, den ich als wesentlich für die lächerlichen Abwehrreflexe und Denkverbote ansehe, möchte ich an dieser Stelle genauer eingehen. Denn meine Frage lautet: Wo sind wir denn heute hingelangt? Befinden wir uns, was die sichtbaren und nicht zuletzt auch fühlbaren, in der Architektur verkörperten Werte und Wertorientierungen anbetrifft, tatsächlich in einer sinnvollen Weiterentwicklung, oder handelt es sich nicht vielmehr um ein hohles Gebäude aus Klischees, Trendgerede und intellektuellen Eskapaden, die sich einfach durch blinde Nachahmung, durch Propaganda (Propaganda der heutigen Zeit, des heutigen Denkens, der vordergründigen Moden) etabliert haben? Vielleicht auch gerade durch Ablehnung des Verdrängten, durch Verweigerung von unerwünschten Einflüssen? Muß man heute mit Gewalt das Gegenteil dieser verpönten Zeit praktizieren, um sich sicher zu fühlen; muß man irgendwelche Moden aus anderen Kulturen nachahmen, weil man Angst hat, hier auf eigenen Beinen zu stehen und sich dann vielleicht noch einmal schuldig zu machen?
Löst, wenn ich, wie oben geschehen, positive Merkmale dieser nationalsozialistischen Architektur rekapituliere, das beim Leser Wutreaktionen aus? Oder Angst, oder Verunsicherung? Wäre das so, dann hätte es damit zu tun, daß ein primitives Gut-Böse-Schema am Werk wäre, so wie es bei ideologischen bzw. religiösen Fanatikern der Fall ist, die in Schwarz-Weiß-Konfrontationen verharren müssen, damit ihnen die Welt leichter verständlich erscheint. Dann läßt sich das Gute und Nachahmenswerte beim vermeintlichen Gegner und Feind nicht akzeptieren. Dann erstarrt man in Projektionen und verleugnet im anderen, was man in sich selbst spürt und als unerwünschten Drang zurückstaut und wegpreßt.
All diese Vorgänge reichen tief ins Innere des einzelnen Menschen hinein — jedes Menschen, denn da sind wir alle gleich —, und sie spielen immer eine Rolle, wo es um Kraftquellen, um tiefe vitale Wünsche und Impulse geht. Je größer die wirkende Kraft, desto größer diese psychische Energie und desto brisanter die davon betroffene jeweilige Sachthematik. Daher ist Architektur gar nicht so etwas Kühles, Kopfiges und Abstraktes, als wie sie heute immer wieder dargestellt wird. In Wahrheit ist Architektur nichts anderes als die im Außen ausgetragene Kräftebeziehung des Inneren. Deshalb, und genau deshalb wird in der Öffentlichkeit in vielen Fällen so vehement um jeden Stein, jeden Weg, jede Mauer, jeden Platz und jeden Turm gekämpft. Nicht, wie man denken könnte, aus theoretischen Gründen, sondern aus seelischen Gründen — aus Gründen des Gemeinsam-Menschlichen, das uns alle mitbetrifft. Hier sind wir zusammen gefangen, und hier erahnen wir alle zusammen Freiheit und Selbstausdruck eines tieferen Seins.
Kühle und kopfige Architektur ist immer nur halbe Architektur, ist Ausdruck eines verhinderten, zurückgebremsten, ängstlichen Seins, und dieses Sein hat Angst vor sich selbst und vor dem, was es eigentlich ist. Wo ich kühle und kopfige Architektur antreffe, da weiß ich, daß etwas am Blühen und am Wachsen gehindert wird, und ich weiß, daß das krank und unglücklich macht.
Und man sieht es den entsprechenden Gebäuden an, und man spürt es, wenn man sich vor ihnen oder in ihnen aufhält.
Die hier gezeigten Bilder von moderner Glas-Architektur sind willkürlich herausgegriffen; man könnte tausende ähnlicher Beispiele anführen — im Prinzip offenbart sich hier immer dasselbe Manko.
Die Wirkung dieser Glas-Architektur: Spitz, stechend, abweisend, hart, kalt — auf der anderen Seite durchsichtig; das bedeutet: Verlust der Privatsphäre der Arbeitenden — angeblich kommunikativ und offen, was jedoch nur als intellektuelles Postulat nachzuvollziehen ist, nicht aber in der konkreten Wirkung.
In Feng-Shui-Terminologie (die ich ansonsten nicht gerne verwende, weil man das alles auch in unserer Sprache ausdrücken kann und weil man dazu keine neue Ideologie, keine importierte Denkweise braucht), heißt das: Überbetonung des Yang-Aspektes, also der angespannten, männlichen Energie. Das spiegelt sich zumeist in der einseitigen Verwendung kalter Farben wie Blau, Weiß, Schwarz wieder und kalter Materialien wie Glas, Stahl, Eisen, Beton (bestenfalls taucht hie und da ein fahles Rot auf) — während warme, natürliche Farben wie Gelb, Orange, Braun, warmes Rot und Grün (Materialien: Holz, Bast, Ziegel, Pflanzen, Erde) notorisch ausgeklammert werden. Kaltem Licht (Neonröhren) wird der Vorzug vor warmem Licht gegeben.
Man kann immer wieder beobachten, daß es einen eklatanten Mangel an Orten und Stellen gibt, wo sich der Mensch geborgen und beheimatet fühlen könnte. Es gibt keinen
Rückenschutz, sondern von allen Seiten her wird der Mensch durchleuchtet und einschaubar gemacht, was ihm unmittelbar ein instinktives Unbehagen verursacht. In letzter Zeit ist es üblich geworden, Bürofassaden durchgehend bis zum Fußboden hinunter zu verglasen, damit die Gebäudefront von außen als einheitliche Glasfassade wahrnehmbar ist. Das hat zur Folge, daß die Arbeitenden wie in einem öffentlichen Schaukasten sitzen und jede ihrer Verhaltensweisen von der Straße aus zu beobachten ist. Auch hiermit entsteht wiederum erhebliches instinktives Unbehagen, das sich in erhöhtem Streß und Zunahme von Verspannungen niederschlägt.
Das Thema ist unerschöpflich und ich werde darauf immer wieder zurückkommen. Dieser Beitrag hatte nicht das Ziel, die Nazikultur insgesamt zu rechtfertigen, aber ich komme nicht umhin, bei einem Stilvergleich zwischen sogenanntem faschistischen Stil versus Moderner (Glas- und Beton-) Architektur neue Prioriäten zu setzen und für eine Neubewertung ohne ideologische und tabuisierende Scheuklappen zu plädieren.
— Gerd-Lothar Reschke —
19.7.2002
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