Gedanken zu einer dringend notwendigen neuen Beratungsinstanz neben dem Architekten.
Reflexionen anhand zweier Beispiele.
Von Gerd-Lothar Reschke
Dr. Peter Hawel und ich besichtigten zwei Hofgestaltungen, die das Büro Hawel/Mittler in der Münchener Innenstadt konzipiert hatte. Der folgende Text beschreibt, welche Gedanken sich bei mir im folgenden Verlauf dazu eingestellt haben.
Vorauszuschicken ist, daß beide Objekte von städtischen Sozialbauträgern beauftragt und finanziert wurden, also mit minimalem Kostenaufwand auszuführen waren. Zudem gab es die in diesem Metier meistens üblichen einschränkenden Vorgaben. Von einer beliebigen Durchführung irgendwelcher Utopien oder Renomméansprüche kann also nicht die Rede sein. Und doch schien mir gerade hier, und gerade deshalb, gut ersichtlich, was die Aufgabe des Gestalters ist. Ich werde das an diesen Beispielen herausarbeiten.
Der erste Hof, ein Freiraum zwischen zwei Häusern in der Asamstraße, zur Straße hin durch einen Zaun umgrenzt, nach hinten durch eine Mauer, erlaubte es bereits, einige wichtige Grundsätze einzubringen und auszuführen. Den Eingangsweg säumt ein großer Baum, der das Gelände zur Straße hin beschützt und den Eingang akzentuiert. Weiter ist der Eingang durch einen mit repräsentativen Edelstahlplatten versehenen, von innen beleuchteten Klingelkasten aufgewertet. Der Weg trifft dann auf den zentralen Punkt, eine breite, halbrunde Bank mit zahlreichen Sitzplätzen auf der durchgehenden Holzfläche. Ein Seitenarm biegt nach links zu einem Hauseingang mit Treppe, der von einem schlanken, hohen Baum unterstrichen wird. Der andere Arm windet sich rechts um die Bank und verzweigt sich hinter beiden Häusern, zu nach links und nach rechts führenden Rückeingängen.
Gestaltungsansprüche und Durchsetzungskraft treten hier nur in Ansätzen auf, da leider der Bewuchs sehr sporadisch, niedrig und offen gehalten wurde. Der Bank fehlt die
Rückendeckung. Die rückwärtige Mauer wurde nicht gestaltet, sondern bloß in einer hellblauen Farbe bestrichen, die der Stätte keinen Rückhalt bietet. Aber bereits hier wird klar, daß es, im Gegensatz zu üblichen Gestaltungen, um eine von innen heraus durchkonzipierte Grundidee geht. Der Hof wird mit einer Aussage, eine inspirierenden Grundidee versehen, der des Treffpunkts. Anstatt aus den gegebenen Rahmenbedingungen die nächsten Merkmale logisch zu schlußfolgern — z.B. Vorsprünge mit plattenbelegten Rändern zu versehen, Bänke an Flanken anzugliedern und übriggebliebene Räume einfach mit Grün zu füllen —, kommt etwas Neues hinzu, nämlich eine darüber hinausgehende Bedeutung.
Noch einmal dieser Einschub: Konventionelle Gestaltungen konstruieren sich aus Gegebenheiten und folgen standardisierten Reaktionen. Es gibt hierzu genügend bekannte intellektuelle Versatzstücke, die man wie ein Baukastensystem hernehmen und aus denen man nach Bedarf, also nach Kostenaspekt, nach Bauherrn- oder nach eigenem Geschmack, meistens eher nach Gewohnheitsschablone und Trendgläubigkeit die gerade benötigten Bestandteile aktivieren kann. Damit wird zwar nichts falsch, aber erst recht nichts richtig gemacht. Die Städte sind übervoll von derartigen Lösungen, denen allesamt eines gemeinsam ist: Keine Bedeutung, nur Staffage, nur vordergründiges Gebastel und Löcherstopfen.
Die Gestalter meinen, es würde ohnehin keiner spüren — aber genau hier liegt der große Irrtum. Bewußt spüren es wohl die meisten wirklich nicht, aber unbewußt ganz sicher. Und dann lebt man jahre- und jahrzehntelang in derartigen Umgebungen. Daher: Sinn und Bedeutung, Inhalt und Aussage (aber nicht modische Ausage, sondern echte, nämlich gefühlte Aussage) zahlen sich aus. Sie machen die Qualität der Gestaltung aus, denn sie sind ihr eigentliches Rückgrat.
Das zweite Beispiel zeigt das noch viel klarer, aber es ist gut, das erste Beispiel zuerst gesehen zu haben, um den Unterschied zu erkennen und dadurch noch deutlicher erfassen zu können, worauf es ankommt.
Hier, in diesem Innenhof der oberen Schwanthaler Straße (an der Theresienhöhe) regiert sofort die Idee, der Sinnaspekt. Man spürt es gleich, wenn man von der Straße durch die Einfahrt hereinkommt. Es ist nicht nur der genau in der Mitte postierte, angenehm wirkende Brunnen mit altem Granitbehälter und markanter Stele im Zentrum — sondern alles, was sich außerdem noch hier findet, gehört wie aus einem Guß zusammen. Der Hof bildet eine Einheit und ein Zentrum. Er wird zu einem Mittelpunkt für die hier lebenden Menschen.
Die gelben Pfeile verdeutlichen den Kraftfluß der Anlage. Erster Fokuspunkt ist der Brunnen. Auf diesen bezogen ist rechts die Bank, links die Schaukel. Innerhalb quadratisch-rechteckiger Grundformen wird also der Kraftfluß in Rotation versetzt. Das geschieht zum einen im Gebäude in Form des vorgelagerten Treppenhauses, dann in der Hofmitte beim Brunnen, und zum dritten beim hinteren Pendant, einer aufwärts führenden Wendeltreppe.
Die Wendeltreppe nimmt die Kraft der unteren Ebene auf und leitet sie auf das nächsthöhere Stockwerk in Form einer in Südsonne gelegenen Ruhefläche mit Dachbegründung: Den geschützt und zugleich mit wohltuender Übersicht ausgestatteten Ruhepol des Hofes.
Statt den Hof einfach durch flächige Mauern von seinen Nachbarhöfen abzutrennen, wurden Durchblicke geschaffen, die vertikal gegliedert wurden.
Wichtig ist bei alledem eines zu verstehen: Was in dieser Anlage vorzufinden ist, das ist kein abstraktes Konzept, keine deduktive Schlußfolgerung, kein fertiges Standard-Muster. Es ist etwas Neues; etwas, das hier entstanden ist und hier wirkt.
Und nun komme ich zu dem eigentlichen Anliegen meines Textes. Ich hatte die beiden Höfe auf mich wirken lassen und war zuerst versucht gewesen, sie weiter zu untersuchen und Detailstudien zu betreiben, vielleicht neue Fotos aufzunehmen, einzelne Merkmale näher anzuschauen usw. (Der Eindruck des Hofes ist leider nicht fotografisch wiederzugeben und ich bin mir der Schwächen der obigen Bilder bewußt.) Bis mir einen Tag später (genaugenommen war es in der darauffolgenden Nacht um etwa vier Uhr morgens) schlagartig klar wurde, was dieses Erlebnis zu bedeuten hatte.
Ich war darauf gekommen, als sich in mir, wie schon seit Jahren, etwas rieb bezüglich der Aufgabenverteilung bei der Ausarbeitung und Durchführung solcher Projekte. Immer hatte ich den Eindruck gehabt, da würde etwas nicht stimmen: Da gab es den Bauherrn, den Architekten, den Gartenbauarchitekten bzw. Grünanlagenplaner, die Handwerker. Und von wem kam die Grundidee? Vom Architekten, sollte man doch meinen, oder nicht? Nur daß wir immer wieder festgestellt hatten, daß der Architekt zwar plante, aber nicht Bedeutungslieferant war. Er war so etwas wie ein Ideen-Weiterverwerter. Das hat sich inzwischen bei unserer Kultur so eingebürgert: Architekten, Designer, Graphiker, Verkehrsplaner, Bauplaner sind inzwischen nur noch Reagierende und fühlen sich komplett irgendwelchen knallharten Sachzwängen unterworfen. Es geht 1. darum, daß es wenig kostet, 2. daß keine Vorschriften verletzt werden und 3. daß keiner allzusehr provoziert wird. Hierüber wird viel gejammert, und am Schluß schlucken es alle als vermeintlich unumstößliche Grundgegebenheit.
In Gang gekommen ist bei mir aber etwas, als ich dann die Feng-Shui-Leute betrachtete. Auf einmal schien es ja doch anders zu gehen — da kamen auf einmal ganz neue Bedeutungsaspekte zur Sprache! Und prompt reagierten die Planer auch darauf. Plötzlich setzen sich Ideen durch!
Aber sie setzten sich durch infolge des Schemas, infolge einer vorgekauten Ideologie. Die jahrtausendalte Tradition des Feng Shui wird auf einmal respektiert. Aber dazu muß man sich anscheinend erst einmal mit den entsprechend exotischen Etiketten versehen. Auf einmal ist der Feng Shui-Berater, oder auch der Geomant, ein Berufsbild. Und darauf will ich hinaus. Der Architekt macht seinen Job wie vorher, aber wer etwas auf sich hält und nicht einfach nur das übliche seelenlose, Gefühle und Instinkte sträflich vernachlässigende Planen haben und in den entsprechend lieblos gebauten Umgebungen hausen und leben will, der tut sich etwas Gutes und läßt auch noch den Sinn-, den Inhalts-, den Bedeutungsaspekt zur Geltung kommen.
Jedoch: Aus vielerlei Gründen, auf die ich
bereits gründlich eingegangen bin, halte ich es nur für eine dürftige Lückenbüßerei, ein modisches New-Age-Strohfeuer, Feng Shui als fertiges Lösungskonzept importieren zu wollen. Das ist nicht unsere Kultur hier; das ist auch nur eine Modeerscheinung. Sehen kann man aber, wie es funktioniert und worauf es ankommt.
Und daher habe ich weiter nachgegrübelt: Was ist es dann, was hier fehlt? Und: Wie heißt die Rolle, die der hier benötigte echte Gestalter spielen wird?
Ich kam auf Begriffe wie Freimaurer, Magier, Zauberer, Schamane, oder inhaltlich gesehen: Sinn-Vermittler. Denn darum geht es. Es geht um etwas, das heutige Architekten nicht leisten können — dafür fehlen ihnen völlig die Voraussetzungen. Und ohne Architekten jetzt zu sehr pauschal schmähen zu wollen: Es ist heute auch gar nicht mehr die Rolle des Architekten! Jeder weiß, daß der Architekt Repräsentant des naturwissenschaftlich-technischen Denkens ist. Genau wie das der normale Arzt als Vertreter der Schulmedizin ist — von dem kann ich auch nicht erwarten, daß er schamanistischer Heiler und Naturwissenschaftler in einer Person sein soll!
Also brauchen wir eine zusätzliche Rolle, eine neue Aufgabe, ja, ein neues Berufsbild. Es ist etwas, das in seiner Essenz so etwas wie spirituelle Beratung umfaßt. Früher hatten wir die Pfarrer einerseits und die weltlichen Berufstätigen andererseits, und die Pfarrer waren die spirituellen Berater — das reichte in alle Bereiche der Kultur und des menschlichen Zusammenlebens hinein. Und diese Rolle ist heute vakant. Und deshalb krankt unsere Gesellschaft inzwischen an so vielem, nicht nur im Baubereich.
Aber der spirituelle Berater ist heute nicht mehr nur ein Berufsbild, sondern wir benötigen solche Berater in all jenen Lebens- und Berufsbereichen, wo heute ein gehöriges Maß an Fachverständnis gefragt ist. Das ist es, was die Feng-Shui-Berater auf ihre Weise tun, oder die Geomanten.
Kurz, ich nenne den, der die gestalterische Rolle beim Bauen spielt, den Bau-Meister. Er tut das, was die früheren, mittelalterlichen Baumeister taten (die, von denen die Freimaurer abstammen und woher sie folgerichtig auch ihren Namen herhaben): Er erfaßt, was der eigentliche Sinn des Geschaffenen ist. Er schaut durch die materielle, die logisch-rationale Ebene hindurch auf die geistige Ebene, und tiefer noch: auf die spirituelle Ebene.
Ich weiß, daß das neu klingt und man schluckt erst einmal und sträubt sich, und der Verstand erhebt Einwände, wie z.B.: Wer will denn heute noch solch einen Begriff wiederaufwärmen? Der Punkt ist nur: Er stimmt; er paßt. Und er paßt auch deshalb, weil er in unserer Sprache daherkommt. (Das ist meine Erfahrung: Wenn etwas nicht in einfachen deutschen Worten zu sagen ist, dann paßt es auch nicht wirklich hierher — dann klingt es vielleicht eine Zeitlang interessant und neuartig, aber es entbehrt auf Dauer der Substanz.)
Der Baumeister muß als Rolle neu auferstehen — es ist nicht mehr der Architekt, der das alles tut, sondern der Baumeister ist Berater des Architekten, wie auch des Gartengestalters und all der anderen Planenden und Ausführenden. Er liefert das Grundkonzept. Genau wie es hier in der Schwanthaler Straße in München gemacht wurde.
Und es ist nicht teurer! Aber es ist um ein Vielfaches lohnenswerter! Es wird einfach mehr Qualität auf diese Weise geschaffen, Qualität, die sich in einer erheblichen Zunahme des Wohnwertes unserer Städte niederschlagen wird.
— Gerd-Lothar Reschke —
11.10.2002
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