Argumente gegen die Dominanz der Schaumschläger
Von Gerd-Lothar Reschke
An zahlreichen Beispielen kann ich beobachten, daß Gestaltende, die subtil wahrnehmen, zugleich mit einem Handicap belastet sind, sich äußerlich durchzusetzen. Eine Zeitlang fiel ich noch auf den Irrtum herein, das zuerst auf bestimmte Charaktereigenschaften zurückzuführen. (Diese Bemerkung möge hier ausreichen — ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf das übliche Schubladendenken eingehen, das unterscheidet zwischen Menschen, die sich behaupten, und den sogenannten Sensiblen, Empfindsamen, Weichherzigen usw. Dazu wird jeder seine eigenen Beispiele finden.) Jedoch zeigt sich, wenn man den eigentlichen Zusammenhang einmal entdeckt und erkannt hat, daß es eine ganz einfache andere Schwierigkeit gibt, an der sehr oft gerade jene, die menschlicher gestalten, konzipieren, konstruieren und bauen, scheitern. Es liegt am Stellenwert der benutzten Sprachformen.
Damit das klarer wird, stelle ich einmal einige der üblichen Kommunikationsformen gegenüber. Es gibt eine technische Sprache, die im reinen Ingenieurbereich verwendet wird und, da wissenschaftlich-rational untermauert, allgemein akzeptiert wird. Wer hier gute, fundierte Argumente bringt, wird sich durchsetzen können. Demgegenüber haben und hatten Künstler es stets wesentlich schwerer. Aber deshalb haben (obwohl das nie so offen zugegeben wird) heute auch Künstler eine eigene Sprache, nämlich eine hochgestochene intellektuelle Attitüde der Selbstpräsentation. Mit diesem Auftreten sprechen Künstler, die ja bekanntlich gar nicht nur in rationalen Bereichen wirken, die heutige Dominanz des Intellekts an. Sie bringen einfach irgendwelche hochtrabenden Konzepte an, die unglaublich kompliziert und mit vielen wohlklingenden Fremdworten unterfüttert daherkommen. (Wer kennt nicht die einhellig verwendeten Begriffe wie kommunikativ, kreativ, simultan, synergetisch, öffentlich, sozial, strukturiert, interaktiv, energetisch, transparent, pluralistisch und so weiter?)
Das Problem ist hier, daß es sich zumeist nur um Schaumschlägerei handelt — wie ich einmal so frech bin zu behaupten, und jeder mag sich die betreffenden Phrasenbildungen selbst einmal zu Gemüte führen — er wird sich, wenn er das Märchen Des Kaisers neue Kleider im Hinterkopf behält, dann dazu schnell seine eigenen Aufschlüsse erwirken. Schaumschlägerei auch deshalb, weil Rationalität nur vorgegaukelt wird — aber warum muß sie dann überhaupt vorgegaukelt werden? Eben um sich argumentativ durchsetzen, um sich behaupten zu können.
Das nächste Beispiel, und ein hochinteressantes dazu, ist die Feng-Shui-Welle, auf die hier bereits in
einigen Beiträgen eingegangen wurde. Denn das Feng Shui vertritt sehr wohl subtile Wahrnehmungen. Hätte also eigentlich dieselben Rechtfertigungsprobleme wie unsere Gruppe der Sensiblen und weniger Dominanten. Nur daß hier ein Trick angewandt wird, den wir von der intellektuellen Domäne her bereits kennen: Es wird einfach ein wissenschaftliches — genauer: ein wissenschaftlich klingendes — Vokabular benutzt. Da sprechen Geomanten von Energien, Strömungen und Meßskalen, als handelte sich um reinste Physik und Ingenieurwissenschaft. Außerdem wird zur Zeit gerne auf die Faszination fernöstlicher Überlieferungen angespielt und der Reiz des Exotischen ausgeschlachtet.
Ich hatte dort, in einem der Feng-Shui-Beiträge, schon angesprochen, warum das alles so ist — warum die Naturwissenschaftlicher so sprechen und die Esoteriker sich so darstellen: Es geht um Angst und um Unsicherheit — um das zu beschwichtigen, muß Fachkenntnis und Verläßlichkeit suggeriert werden. Man kann hier also durchaus von einem großen Anteil Psychologie sprechen — einer Seelenmassage des Kunden bzw. Auftraggebers, dem das Gefühl zu vermitteln ist, er werde richtig beraten und könne sich (obwohl ihm die eigene Kompetenz, der eigene Überblick notgedrungen fehlt) wenigstens darauf verlassen, an die richtige Adresse gelangt zu sein. Gestaltet und gebaut wird also von dem, der die beste Seelenmassage betreibt und den stärksten Eindruck von Verläßlichkeit und Seriosität beim Kunden wachrufen kann.
Und hier läßt sich ein Zusammenhang genau beobachten und in vielfältiger Ausprägung studieren: Wer plausibler argumentiert, setzt sich tatsächlich durch. Und ich glaube nicht, daß intellektuelle Schaumschläger plausibel argumentieren. So etwas spricht zwar den momentanen Zeitgeist an, aber ein Unbehagen bleibt dennoch. Und zwar deshalb, weil das, was diese Leute auf Lager haben, der Wahrnehmung zuwiderläuft. Man kann zwar, wie etwa am Beispiel der neuen Münchener Pinakothek der Moderne zu erleben, eine Zeitlang einen verklärenden Nebel in den Köpfen der Menschen erzeugen, wenn nur genügend viel Theater und Medienzirkus veranstaltet wird. Aber letztlich bleibt die Wahrnehmung doch unbestechlich. Bausünden werden früher oder später immer durchschaut. Es gibt immer neugeborene Kinder, die an des Kaisers neue Kleider nicht glauben. Der Kaiser läuft ständig Gefahr, als das gesehen zu werden, was er in Wahrheit ist: Ein Heuchler, ein Schwindler, ein Vortäuscher.
Also, wer setzt sich letztlich durch? Im besten Fall der, der plausibel argumentiert und der dann noch mit den Tatsachen der Wahrnehmung in Einklang steht.
Menschliche Architektur — ich benenne sie auch mit dem plakativen Schlagwort Harmonisches Bauen — sollte also nicht nur Gutes vorweisen und auf vergessene Zusammenhänge aufmerksam machen, sondern sie sollte auch in der Auseinandersetzung, die immer zu erwarten sein wird (und umso mehr, je mehr es ans Eingemachte der gesellschaftlichen Klischees und vorherrschenden Glaubenssätze geht), die besseren Argumente parat haben.
Vielleicht hat sie es am Anfang schwerer, denn die Begriffe sind ungewohnt. Sie kann sich nicht, wie Feng Shui, mit Jahrtausende alten Traditionen brüsten. Oder vielleicht doch? Vielleicht kommen uns die neuen Denkweisen nur so ungewohnt vor, weil gerade heute so viele natürlichen Selbstverständlichkeiten, so viele Grundsätze der Harmonik, des menschlichen Maßes, der natürlichen Wahrnehmung mit Füßen getreten werden? Gab es nicht früher, im Mittelalter des 13. Jahrhunderts etwa, als die meisten deutschen Städte gegründet wurden, eine Lehre des harmonischen Städtebaus, genannt Heilige Geometrie? Ich könnte jetzt viele weitere Beispiele bringen, wie das, was früher selbstverständlich war, heute merkwürdig klingt — wie aber das, was früher einmal verstanden worden war, noch heute die Kernsubstanz dessen ausmacht, was wir in unseren Städten noch als lebenswert und bewohnenswert empfinden.
Auf dem Feld der Sprache wird die Auseinandersetzung ausgetragen. Deshalb ist es wichtig, ein fundiertes Vokabular, eine fundierte Grammatik des Harmonischen Bauens einzuführen und stetig zu benutzen. Dann sollen doch die Schaumschläger dagegen anargumentieren, wenn ihnen danach ist! Mir tun sie jetzt schon leid, denn sie haben schlechtere Karten.
Es ist klar: Das Ganze wird seine Zeit dauern. Zu wessen täglicher Routine es gehört, sich mit Baubehörden und deren engstirnigen Verwaltungsangestellten auseinanderzusetzen, die im Zweifelsfall lieber das genehmigen, was ihrem Schmalspurdenken entgegen kommt, der hat einen langen Weg vor sich. Aber warum nicht auch hier, auch diesen Leuten gegenüber, oder der Presse, den Kritikern, der Öffentlichkeit gegenüber, fundiertes Wissen einbringen, das nachvollziehbare Begriffe umfaßt? Im Zweifelsfall ist Deutsch immer kraftvoller als intellektuelles Fachchinesisch, bei dem jeder weiß, daß dahinter nur Bedeutungsleere gähnt.
Worauf es ankommt, das ist letztlich immer, Vorschläge und Ideen richtig begründen zu können. Und wer die Menschliche Architektur und ihre Gesetzmäßigkeiten auf seiner Seite hat, wie sie hier erforscht und erörtert werden, der baut auf einer soliden Grundlage.
— Gerd-Lothar Reschke —
16.11.2002
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