Grundelemente der Gestaltung (4)
Text und Graphiken von
Gerd-Lothar Reschke
Freiraum ist der in einer Landschaft oder in einer Stadt vorhandene nicht bebaute, also offene Bereich. Ein einfaches Beispiel: Eingangsbereiche von Häusern. Oder: Rasenflächen innerhalb von Parkanlagen. Städtische oder dörfliche Plätze.
Sich einen Freiraum bewußt zu machen bedeutet, zu wissen, daß dort nicht einfach nur "nichts" ist, also die sogenannte "Leere" (westliche Menschen haben damit immer so ihre Schwierigkeiten), sondern daß sich dort &mdash sofern im Umfeld die entsprechenden Gegebenheiten geschaffen wurden — Aufmerksamkeit sammelt und somit auch Energie bzw. Kraft. Deshalb arbeitet jeder Gestalter, der sein Handwerk versteht, gezielt mit Freiräumen. Es wird dann nicht einfach nur versucht, Freiräume zu füllen (also "unschädlich" zu machen, auszumerzen), sondern es wird erkannt und wahrgenommen, daß sich hier eine Spannung aufbaut.
Die Frage ist: Wie wird mit dieser Spannung umgegangen? Der kompetente Gestalter spürt die in einem Areal vorhandenen Spannungsverhältnisse und erschafft dazu eine Art von Kraft-Dramaturgie. Nehmen wir als Beispiel den Vorplatz eines Hauses. Hier, also zwischen Straße und Hauseingang, treffen wir einen Freiraum an. Wir können nun eine gerade Verbindung zwischen beiden herstellen und den Freiraum durchschneiden. In diesem Fall wird der Freiraum gestört und zunichte gemacht.
Eine Möglichkeit, bewußter mit den Verhältnissen umzugehen, besteht darin, den Weg nicht gerade, sondern gewunden verlaufen zu lassen. Eine andere wäre, längs des Weges Blickpunkte einzufügen, etwa Pflanzen oder Figuren, die dem Freiraum Aufmerksamkeit zuführen. Außerdem empfiehlt es sich, den Hauseingang entsprechend zu gestalten, etwa durch einen Vorbau, durch Säulen, durch eine Treppe etc.
Die folgenden drei Bilder zeigen nun in schematisierter Form drei verschiedene Möglichkeiten, wie mit einem Freiraum umgegangen werden kann, der von einer Umgebung geschaffen wird. Ein zu bauendes Haus soll zur vorhandenen Konstellation unter Wahrung oder Förderung der Harmonie neu hinzukommen.
Umgang mit dem Freiraum (1):
Das Haus ist so positioniert, daß der Kraftfluß der Landschaft auf einen nahebei gelegenen Punkt des Freiraums zuläuft. Das Haus steht nicht im Fokuspunkt, sondern hat an der vorhandenen Energie teil und unterstützt diese. Es steht in einem harmonischen Bezug dazu.
Umgang mit dem Freiraum (2):
Zu oben (1) symmetrisch entsprechende Variante.
Umgang mit dem Freiraum (3):
Das Haus steht am Kreuzungspunkt der Kraftströme. Es okkupiert den Freiraum und blockiert dadurch den Kraftfluß.
Am besten lassen Sie die Unterschiede in den gezeigten drei Varianten einmal auf sich wirken. Beispielfall 3 kommt doch recht häufig vor und wird meistens ziemlich reflexhaft als beste Lösung betrachtet. Je genauer man sich aber mit den Auswirkungen einer derartigen Entscheidung auseinandersetzt, desto deutlicher zeigt sich, wo der grundlegende Irrtum begangen wird: Zum einen herrscht Angst vor Leere, vor einem Vakuum vor, zum anderen spielt nicht selten auch Wichtigtuerei und Imponiergehabe (bekanntlich mit die stärksten menschlichen Antriebskräfte) eine große Rolle. Im selben Augenblick hört aber die Energie auf zu fließen und zu atmen.
Dies hat natürlich Konsequenzen. Es werden negative Kräfte mobilisiert, die sich dann auf die eine oder andere Weise entladen müssen.
Den Freiraum kann man nur wahrnehmen und respektieren, wenn das Ganze in den Blick genommen und mit einbezogen wird. Das Ganze, das ist in solchen Fällen nicht nur das gebaute Objekt, sondern zugleich die davon veränderte und beeinflußte Umgebung bzw. Landschaft.
Das nachfolgende Beispiel für den Kraftfluß bei bzw. in einem von Häusern gebildeten Freiraum kann wohl als selbsterklärend betrachtet werden.
Kraftfluß bei einem durch Häuser gebildeten Freiraum
Anzumerken wäre noch, daß eine rein lineare Anordnung von Gebäuden derartige Effekte nicht hervorruft und auf das betreffende Areal entsprechend weniger harmonisierend wirkt. In unseren Siedlungen und Städten sind leider genügend viele Beispiele hierfür zu finden.
Ein sinnvoll gestalteter, in seiner Umgebung passend eingebetteter Freiraum bereichert alle beteiligten Gebäude und ebenso die Menschen, die dort wohnen bzw. sich dort aufhalten. Es entsteht etwas Verbindendes, das schwer in Worten zu beschreiben ist, das aber dennoch von jedem, ob bewußt oder unbewußt, empfunden und wahrgenommen wird. (Eben weil dieses Empfinden nicht-rational oder vor-rational ist, wird es in einer einseitig die Ratio betonenden Welt von Denkern und Planern verdrängt, ausgegrenzt oder unterdrückt.)
— Gerd-Lothar Reschke —
19.4.2004
Startseite |
GLR Bücher |
HTML5
Copyright © 2024 Gerd-Lothar Reschke |
Impressum |
Datenschutz